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Kinder fordern ihr Recht auf Arbeit

Ein grundsätzliches Verbot von Kinderarbeit wollen nicht einmal die Betroffenen selbst, in vielen Fällen ermöglicht erst sie die Schulbildung

Von Georg Wimmer

Die 13-jährige Yasmin aus Peru hat keine Angst vor den vielen Menschen im Vortragssaal eines Berliner Tagungszentrums. Mit lebhaften Gesten unterstreicht das dünne Mädchen seine Worte, und während die Dolmetscherin übersetzt, blickt Yasmin zuversichtlich in die Runde.

Sie spricht über die ihr selbstverständlichste Sache der Welt, über Kinderarbeit. Eine Unterscheidung ist dem Mädchen dabei besonders wichtig: "Wenn Kinder zur Prostitution oder für Drogenschmuggel benutzt werden, dann ist das ein Verbrechen. Aber ich spreche von Arbeit."

Gängige Vorurteile

Derlei Sätze sind oft zu hören auf dem "2. Welttreffen der arbeitenden Kinder", das derzeit in Berlin stattfindet. Mitunter scheint es, die Vorurteile in westlichen Ländern, die auch die Politik der internationalen Organisationen bestimmen, machten den Kindern genauso zu schaffen wie unfaire Arbeitsbedingungen in ihrer Heimat.

Eines der gängigsten Vorurteile lautet, die meisten Kinder würden in schäbigen Fabriken Teppiche knüpfen oder Sportschuhe nähen. Schätzungen von Unicef zufolge sind von den weltweit rund 250 Millionen arbeitenden Kindern unter 14 Jahren nur fünf Prozent für die Exportindustrie tätig.

95 Prozent arbeiten in der Landwirtschaft und im so genannten informellen Sektor, einer Art Schattenwirtschaft, die sich in den Ländern des Südens drastisch ausweitet. Kinder verkaufen Wasser, Süßigkeiten, Zeitungen und Zigaretten, sie putzen Schuhe, waschen Autos oder erledigen Botengänge. Mädchen arbeiten oft als Hausangestellte.

Der Verdienst der Kinder beträgt selten mehr als einen Dollar (rund 80 Euro-Cent) pro Tag. Doch dieser Dollar ist oft überlebenswichtig. Häufig können sich Kinder mit ihrem Einkommen erst den Schulbesuch ermöglichen, wie Yasmin erzählt: "Unicef sagt immer, ,zuerst kommt die Schule‘. Aber bei uns ist das nicht so. Bei uns musst du zuerst arbeiten, damit du das Schulgeld bezahlen kannst."

Stolz über Leistung

Bei den 30 Delegierten aus Lateinamerika, Afrika und Asien schwingt unüberhörbar Stolz mit, wenn sie über ihre Arbeit sprechen. Er unterstütze damit seine Familie, sagt der 14 Jahre alte Moussa aus dem Senegal. "Ich könnte mir nicht vorstellen, einfach dazusitzen, während meine Eltern sich abschuften und doch nicht genug Geld nach Hause bringen."

Dass sich Kinder und Jugendliche organisieren und für mehr Rechte und gegen Ausbeutung auftreten, ist relativ neu. Ausgehend von Lateinamerika in den 80er-Jahren, formieren sich diese Organisationen nun auch in Westafrika und in Indien.

Gefährliches Verbot

Allerdings bläst ihnen auch rauer Wind ins Gesicht. Manfred Liebel, Soziologe und Mitgestalter des Treffens, sieht das größte Problem in der Politik der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Diese behaupte, mit ihren hoch dotierten Programmen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu bekämpfen. Tatsächlich laufe die Strategie aber auf eine generelle Abschaffung der Kinderarbeit hinaus. Dies treibe die Kinder nicht nur in die Illegalität, es verleite sie auch dazu, besonders gefährliche Arbeiten anzunehmen.

"Wir haben es hier mit einer neuen Form von Kolonialismus zu tun", sagt Liebel. "Ein in Europa entstandenes Kindheitsbild, das Kindheit automatisch mit Schulkindheit gleichsetzt, soll auf der ganzen Welt durchgesetzt werden."

Dies entspreche aber weder der Realität in den verarmten Ländern noch deren Kultur. "Insbesondere in bäuerlichen Gesellschaften ist es seit jeher Tradition, dass Kinder Aufgaben übernehmen, die ihrem Alter entsprechen."

 

(Georg Wimmer, in: Der Standard (Österreich), 4.5.2004)

 

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