Der faire Handel und „Gütesiegel“ gegen Kinderarbeit

Das Label „Frei von Kinderarbeit“ garantiert den arbeitenden Kindern keine Verbesserung ihrer Situation. Im Gegenteil – für viele verschlechtern sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen dadurch sogar noch. Ein pauschales Verbot hilft nicht weiter. Dagegen können von den Kindern selbst entwickelte und vertretene Alternativen im Rahmen des Fairen Handels viel Positives bewirken.

Fairer Handel „frei von Kinderarbeit“?

Im fairen Handel geht es um eine gegenüber dem Weltmarktpreis höhere und verlässlichere Bezahlung von Produzent*innen in den Herstellungsländern. Außerdem sollten bestimmte Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards im Herstellungsprozess eingehalten werden. Die Ende der 1960er Jahre aufkommende Fair-Trade-Bewegung vertrieb ihre mit diversen Gütesiegeln versehenen Produkte anfangs ausschließlich in sogenannten „Dritte-Welt-Läden“. Inzwischen haben diese Produkte längst Einzug in die Supermärkte und neuerdings auch in die Discounter gefunden.

Die meisten Gütesiegel garantieren der Kundschaft, dass die Produkte ohne Kinderarbeit hergestellt wurden. Sofern sich Verhaltenskodizes auf Kinderarbeit beziehen, verlangen sie in der Regel deren Verbot. Den Subunternehmen der Multis wird in sogenannten Sourcing Guidelines untersagt, Kinder zu beschäftigen. Nähere Ausführungen, wie das kontrolliert werden soll, fehlen in der Regel ebenso wie Hinweise zum Verbleib der entlassenen Kinder.

Gütesiegel-Initiativen

Einige Gütesiegelinitiativen wurden ausschließlich zum Thema Kinderarbeit ins Leben gerufen. Sie streben an, Kinder aus dem Produktionsprozess zu entfernen, halten inzwischen aber auch eine „sozialpolitische Flankierung“ für notwendig. Sie beanspruchen, Alternativen für die entlassenen Kinder zu schaffen oder gar die Ursachen von Kinderarbeit zu bekämpfen. Das Gütesiegel selbst ist allerdings darauf beschränkt, Produkte zu kennzeichnen, die „frei von Kinderarbeit“ sind.

Das hierzulande bekannteste Beispiel ist das Rugmark-Siegel für Teppiche, „die ohne Kinderarbeit hergestellt wurden“. Unternehmen, die eine Lizenz zu dessen Gebrauch beantragen, müssen versichern, ausschließlich Erwachsene zu beschäftigen. Werden sie beim Betrug erwischt, verlieren sie ihre Lizenz. Die Unternehmen entrichten außerdem periodisch oder einmalig eine Lizenzgebühr, die in einen Fonds fließt, der zur Verbesserung der Situation der entlassenen Kinder oder zur Bekämpfung der Ursachen von Kinderarbeit eingesetzt werden soll. Vorgesehen ist außerdem, dass die Konsument*innen für die gesiegelten Produkte eine Prämie zahlen.

Derzeit existieren sieben ausschließlich auf die Thematik der Kinderarbeit bezogene, exportorientierte Gütesiegelinitiativen: Rugmark, Care & Fair, Kaleen, STEP, Baden, Reebok und GoodWeave. Sie konzentrieren sich auf zwei Wirtschaftssektoren und wenige Länder. Die Siegel werden für handgeknüpfte Teppiche aus Indien, Nepal, Pakistan, Marokko und Ägypten sowie für Fußbälle aus Pakistan und China vergeben. Auch die Siegel der Fair-Trade-Bewegung für Produkte wie Kaffee, Bananen, Schokolade, Tee, Orangensaft oder Blumen versuchen zum Teil, Kinder aus dem Produktionsprozess herauszulösen und kennzeichnen die von ihr gehandelten Produkte als „frei von illegaler Kinderarbeit“. Ihr eigentlicher Fokus liegt allerdings auf der Verbesserung der Einkommensbedingungen von Kleinbauern und der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit im Norden.

Darüber hinaus sind die branchenübergreifenden und international ausgerichteten Gütesiegel zu erwähnen, die den Unternehmen die Einhaltung bestimmter Arbeitsstandards, darunter Bestimmungen zum Umgang mit Kinderarbeit, bescheinigen sollen (SA 8000, Workers Rights Consortium, Fair Labor Association). In Brasilien existieren daneben zwei binnenmarktorientierte Gütesiegelinitiativen (Pro-Child, Abrinq), die schwerpunktmäßig auf die Abschaffung der Kinderarbeit gerichtet sind.

Auswirkungen für die Kinder

Nicht selten werden Kinder aufgrund von Sozialklauseln, Verhaltenskodizes und Gütesiegelinitiativen aus dem Produktionszyklus gedrängt, ohne zu beachten, was die Arbeit für sie und ihre Familien bedeutet und was mit ihnen anschließend passiert.

Untersuchungen im indischen „Teppichgürtel“ haben beispielsweise gezeigt, dass die verbreiteten Erfolgsberichte der Gütesiegelinitiativen kritisch zu bewerten sind. Eine Studie (Ashraf 2001, S. 308) konstatiert, dass „der schwächste Punkt der Kampagnen gegen Kinderarbeit bei den Alternativen liegt. Unglücklicherweise boten sich den Kinderarbeiter*innen, die gerettet und in ihre Dörfer zurückgeschickt wurden, keine möglichen Alternativen für die Verbesserung ihrer Situation. Folgeuntersuchungen haben enthüllt, dass die meisten wieder zur Webarbeit zurückgekehrt sind, sei es an die alten Arbeitsplätze, sei es an neue Webstühle, die in ihren Dörfern installiert worden waren.“ Auch eine andere Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass im Einflussbereich des Rugmark-Siegels kaum ein Kind nach seiner Entlassung eine Ausbildung aufgenommen hatte, dagegen die meisten in neue Arbeitsverhältnisse eingetreten waren, die noch schlechter waren als zuvor (Betz 2001, S. 318). Eigene Erkenntnisse der Rugmark-Stiftung über den Verbleib ehemaliger teppichknüpfender Kinder werden nach Angaben von Betz (ebd.) als Verschlusssache behandelt.

Soweit die Gütesiegelinitiativen die Einhaltung ihrer Kriterien durch Inspektor*innen überwachen lassen, konzentrieren die sich ausschließlich auf die Entlassung der Kinder. So lange den Kindern keine besseren Alternativen in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, scheint der einzige Sinn der Kontrollen darin zu bestehen, die Käufer*innen in den Abnehmerländern zu beruhigen.

Bildungs- und Sozialprojekte als Alternative?

Die von den Gütesiegelinitiativen unterhaltenen Bildungs- und Sozialprojekte sollen vor allem zur Verbesserung des völlig unzureichenden Bildungsangebots in den Regionen beitragen und damit den Ursachen der Kinderarbeit entgegenwirken. Eltern der teppichknüpfenden Kinder gaben als Grund für die Arbeit ihrer Kinder nicht nur an, auf deren Einkommen angewiesen zu sein. Sie bezweifelten auch den Nutzen des Schulbesuchs. Der Unterricht falle ständig aus, die Lehrinhalte brächten nichts und ihre Kinder würden überdies von Lehrer*innen körperlich gezüchtigt, argumentierten die Eltern. Hinzu kommt, dass die Einrichtung von Schulen das Einkommensproblem der Familien bzw. der Kinder nicht löst. Eine Kompensation für das entgangene Arbeitsentgelt der Kinder oder die Schaffung alternativer Einkommensquellen sind in den Gütesiegelinitiativen entweder nicht vorgesehen oder werden nur halbherzig angestrebt.

Auch andere Sozialeinrichtungen, die von Gütesiegelinitiativen gesponsert wurden, entsprechen bei weitem nicht dem durch die Entlassungen entstandenen Bedarf oder der erforderlichen Qualität. Sharma et al. (2000, S. 70) kritisieren z.B., dass die obere Altersgrenze für den Aufenthalt in dem von Rugmark geförderten Rehabilitationszentrum Balashraya bei 14 Jahren liegt und das Management über den anschließenden Verbleib der Kinder keine Angaben machen konnte. Betz (2001, S. 319) berichtet, dass die Dorfbewohner*innen verärgert waren, weil Rugmark lange Zeit keine eigenen Sozialprojekte lancierte und sich die Dorfbewohner*innen ohne Kompensation einer unverzichtbaren Einkommensquelle beraubt sahen. Einzig einer von STEP finanzierten Krankenstation und den von Care & Fair geförderten medizinischen Einrichtungen wird eine gute Qualität bescheinigt. Das Missverhältnis zwischen den Folgen der Entlassung für die Kinder und ihre Familie und den tatsächlichen Alternativen ist so groß, dass in den meisten Fällen eher von einer Verschlechterung als von einer Verbesserung der Situation der arbeitenden Kinder gesprochen werden muss.

Die Kinder und ihre Familie sind an den Initiativen nicht beteiligt

Als das gravierendste Versäumnis der Gütesiegelinitiativen muss betrachtet werden, dass sie bei ihren Planungen und Maßnahmen weder die teppichknüpfenden Kinder und ihre Familien, noch die Knüpfstuhlbesitzer*innen und Exporteur*innen einbezogen haben. Keine der erwähnten Personengruppen schloss sich freiwillig einer Gütesiegelinitiative an. Dies war einer der wesentlichen Gründe, warum sich auf dem Ersten Welttreffen der arbeitenden Kinder, das Ende 1996 in Kundapur (Indien) stattfand, die Delegierten einhellig und vehement gegen den Boykott von Produkten aussprachen, die von Kindern gemacht werden.

Die Probleme im indischen „Teppichgürtel“ sind kein Ausnahmefall. Die Gefahr, dass die Kinder in die nächstschlechtere Alternative abgedrängt werden ist umso größer, je effektiver die Arbeit von Kindern mittels Sozialklauseln bekämpft wird. Fraglich ist, inwiefern Gütesiegel prinzipiell geeignet sind, zur Verbesserung der Situation arbeitender Kinder beizutragen. Da mittels Gütesiegel nur auf ein Problem aufmerksam gemacht werden kann, ohne detailliert zu informieren, stehen sie in der Gefahr, die angesprochene Problematik zu sehr zu vereinfachen.

Druck der Konsument*innen

Für den fairen Handel ist es heikel, sich auf die Perspektive „Verbesserung von Arbeitsbedingungen der Kinder“ einzulassen. „Ohne Kinderarbeit hergestellt“ gilt in vielen westlichen Ländern schließlich als wichtigstes Werbeargument für ethischen Konsum und somit auch für den fairen Handel. Den Konsument*innen garantiert beispielsweise das österreichische FairTrade Siegel werbewirksam „exzellente Qualität, kontrollierte Herkunft, naturnahe, ressourcenschonende Produktion und den Ausschluss von Kinderarbeit“. Medienwirksame Kampagnen wie z.B. der Global March Against Child Labour taten hierbei ihr Übriges.

Wo Menschen sich überhaupt für Herstellungsbedingungen interessieren, rangiert die Abwesenheit von Kinderarbeit oben auf der Bewertungsskala. Das belegen nicht nur Untersuchungen von TransFair, sondern auch z.B. die wissenschaftliche Befragung von 750 Konsument*innen in Wien durch die „Österreichische Wirtschaftsuniversität Handel und Marketing“. 32 Prozent wollen nur solche Produkte haben, an deren Herstellung keine Kinder beteiligt waren. Dass die Bauern gerecht entlohnt werden, ist dagegen nur 10 Prozent wichtig. In Deutschland mit seinem im Vergleich zu Österreich deutlich niedrigeren Anteil an fair gehandelten Produkten dürfte dieser Anteil sogar noch geringer sein.

Eine paradoxe Situation für die arbeitenden Kinder

Die Abwesenheit von Kinderarbeit ist also ein wichtiges Werbeargument – und das Rugmark-Siegel war mit diesem Argument zumindest in der Anfangsphase wohl auch deshalb recht erfolgreich. Dass Kinder arbeiten müssen, belastet offenbar unser Gewissen. Doch die Bewegungen arbeitender Kinder und Jugendlicher kämpfen gegen eine solche Perspektive. Sie setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne ein, sie fordern Partizipation und Gleichbehandlung für arbeitende Kinder. Damit vertreten sie u.a. traditionell gewerkschaftliche Positionen. Im Prinzip sind sie also auf der Linie des fairen Handels: Auch er will die Lebens- und Arbeitsbedingungen armer Produzent*innen verbessern. Zugleich geht es um ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden. Aus der Perspektive der arbeitenden Kinder entsteht eine paradoxe Situation: Ausgerechnet die Konsument*innen, denen weltweite Gerechtigkeit am Herzen liegt, lehnen Produkte ab, die den Lebensunterhalt der Kinder sichern.

Die Sozialklauseln, Verhaltenskodizes und Gütesiegelinitiativen bleiben einem Denken verhaftet, das die arbeitenden Kinder nur als zu rettende und „rehabilitierende“ Opfer, nicht aber als gleichberechtigte Partner*innen wahrnimmt. Kinder sollten bei dem Prozess der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen einbezogen und ihre Verhandlungsmacht gestärkt werden, anstatt sie aus dem Arbeits- und Produktionsprozess zu entfernen.

In Italien nahm eine faire Importfirma (Equomercato) vor einigen Jahren erstmals Produkte arbeitender Kinder ins Sortiment auf: Grußkarten, Taschen, Bilderrahmen, Blechspielzeug, Schmuck, Seife u.a.  Diese Waren werden von Kindern im Globalen Süden in Eigenregie in Kooperativen hergestellt. Einige Weltläden reagierten zunächst empört und listeten sämtliche Produkte der Firma aus. Doch nach einer intensiven Diskussion werden heute in vielen italienischen Weltläden Produkte angeboten, die Kindern unter gerechten Bedingungen hergestellt haben. In 2010 gliederte sich Litte Hands als unabhängiges Projekt zur Unterstützung der solidarischen Ökonomien der Bewegungen arbeitender Kinder und Jugendlicher aus Equomercato aus. Es spezialisiert sich seitdem ausschließlich auf den Vertreib von Produkten, die von Kindern und Jugendlichen unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt werden.

Die Christliche Initiative Romero hat mehrfach von Kindern hergestellte Grußkarten aus Peru gekauft und in Deutschland vertrieben. Ansonsten wird das Thema eher defensiv angegangen. Immerhin räumen faire Handelsfirmen und der deutsche Dachverband der nationalen Fairtrade Organisationen inzwischen ein, dass die Kinder ihrer Produzenten bei der Ernte beteiligt sind – und sie grenzen das klar von „ausbeuterischer Kinderarbeit“ ab. Doch anders als in Italien gibt es hierzulande nach wie vor keine Produkte aus Kinderkooperativen zu kaufen.

Aktualisiert: 14.12.2020