Bewegungen arbeitender Kinder und Jugendlicher in Asien
In
Asien entstehen Bewegungen arbeitender Kinder seit den 90er Jahren,
haben aber bis auf zwei Regionen in Indien noch wenig Kontinuität
und sind kaum miteinander vernetzt. Meist unterstützt von
NGOs, artikulierten sich arbeitende Kinder immer wieder unter
anderem in Indien, Pakistan, Bangladesh, Sri Lanka, Nepal, Thailand,
Indonesien und neuerdings auch in der Mongolei. In Indien sind
vor allem Bal Mazdoor Sangh im Raum Delhi und Bhima
Sangha im Raum Bangalore zu nennen. Diese beiden Organisationen
sollen im folgenden vorgestellt werden.
Bal
Mazdoor Sangh und Butterflies
Bal
Mazdoor Sangh versteht sich als Gewerkschaft (Union) der
arbeitenden Kinder der Straße. Sie ist mit Unterstützung
der NGO Butterflies, einem seit 1988 in Delhi bestehenden
Programm für Straßenkinder, entstanden.
Eine
Grundannahme von Butterflies ist, dass Armut nur durch
Partizipation der Gemeinde und demokratische Vorgehensweisen zu
überwinden ist. Kinder wurden von Anfang an nicht –
wie in Indien sonst üblich – als Objekte karitativer
Fürsorge, sondern als aktive Subjekte verstanden. In ihren
Programmen baut Butterflies mit Erfolg auf das Wissen,
Können und die Fähigkeiten der arbeitenden Kinder und
Straßenkinder. Die Kinder werden ermutigt, eigenverantwortlich
die Planung, Durchführung und Auswertung ihrer Aktivitäten
zu übernehmen oder eine kritische Haltung ihrer Umwelt und
auch den Straßenpädagogen (streetworker) gegenüber
zu entwickeln. Ein wichtiges Anliegen von Butterflies
ist, die Beziehungen der Kinder zu ihren Familien zu stärken,
und, wo es möglich ist, sollen die Kinder wieder in die Familien
zurückkehren können. Außerdem organisiert Butterflies
öffentliche Kampagnen für die Rechte der Kinder und
erinnert die politisch Verantwortlichen daran, dass sie zuständig
für das Wohl aller Kinder sind.
Eine
wichtige Funktion in der Partizipation der Kinder haben dabei
die Bal Sabhas, die Kinderräte: Kinder treffen sich an Kontaktpunkten,
um Dinge, die sie beschäftigen, zu besprechen. In Krisenzeiten,
wie bei Gewaltanwendungen, Missbrauch, Ausbeutung oder Erpressung
durch Polizei oder Arbeitgeber, haben die Kinder eine Eilversammlung
der Bal Sabha einberufen. Weil die Kinderräte hingegen oft
nur wenig ausrichten konnten, waren die Erwachsenen der Auffassung,
dass die Kinder ein Instrument bräuchten, durch das sie kollektiv
handeln könnten. Deshalb schlugen sie die Gründung einer
Sangh vor, was sowohl Gewerkschaft, als auch Vereinigung oder
Forum heißt.
Die
Kinder-Gewerkschaft Bal Mazdoor Sangh (Union) ging auf
diese Weise 1991 aus der Arbeit von Butterflies hervor.
Bal Mazdoor Sangh wurde ursprünglich von 14 arbeitenden
Kindern und Straßenkindern gegründet. Sie gaben sich
eine sechsmonatige Probezeit. Heute sind mehr als 300 Kinder und
Jugendliche Mitglieder. Um eine offizielle Registrierung zu erreichen,
mussten die Kinder und Jugendlichen sich eine Struktur geben,
die dem indischen Gewerkschafts-Gesetz entspricht. Sie wählten
offizielle VertreterInnen und nominierten zwei Erwachsene, darunter
ein Rechtsanwalt, als Sekretäre, um weitere Formalien zu
erfüllen. Alle Gewerkschaftsmitglieder zahlen Beiträge
und erhalten dafür Mitgliedskarten.
Inhaltlich
beschäftigt sich Bal Mazdoor Sangh unter anderem
mit der Aushandlung besserer Löhne und Arbeitsbedingungen
oder der Bewusstseinsbildung über die Rechte der Kinder,
wie sie in der indischen Verfassung und in der Konvention
über die Rechte des Kindes vorgesehen sind. Sie wollen
Verstöße gegen die Konvention und indische Verfassung
öffentlich machen und dagegen vorgehen, wie auch öffentlichen
Druck auf die politische Führung ausüben – unabhängig
ob die Kinder Mitglieder sind oder nicht.
Bal
Mazdoor Sangh tritt dafür ein, dass die schlimmsten
Formen der Ausbeutung von Kindern abgeschafft werden. Gleichzeitig
fordern sie, dass die Situationen der Familien und Gemeinden,
aus denen die Kinder kommen, bei den politischen Entscheidungen
zur Kinderarbeit berücksichtigt werden. Die Kinder fordern
darüber hinaus, dass ihre Arbeit derart geregelt wird, dass
sie nicht ausgebeutet werden, in Sicherheit und ihren Bedürfnissen
gemäß arbeiten können. Sie fordern gute Schulen,
die auf ihre Situation zugeschnitten sind, Ausbildung und Zugang
zum Gesundheitssystem. Ebenso fordern die Kinder mehr Anstrengungen
in der Schaffung von Arbeitsplätzen für Erwachsene und
bei der Reduzierung von Armut.
Wenn
es darum geht, wichtige Fragen zu besprechen oder Programme zu
initiieren, bitten die Sangh- VertreterInnen die Kontaktstellen
von Butterflies um Unterstützung und rufen Vollversammlungen
ein. In dieser Weise organisierte die Sangh bislang Demonstrationen,
Sitzstreiks, Pressekonferenzen, Treffen mit PolitikerInnen und
Verhandlungen mit ArbeitgeberInnen. Um den Kommunikationsfluss
am Laufen zu halten, gibt die Gewerkschaft der arbeitenden Kinder
auch eine Wandzeitung heraus, die an allen strategischen Punkten
ausgehängt wird. Die Zeitung richtet sich an Straßenkinder
und arbeitende Kinder, aber auch an Erwachsene. Jede Ausgabe behandelt
ein Schwerpunktthema, ein Ereignis oder ein Problem.
Zwei
konkrete Beispiele, wie die Zusammenarbeit von Butterflies
und Bal Mazdoor Sangh aussehen kann: Ein Teil der arbeitenden
Kinder ist dabei, aus einem Gesundheitsprogramm von Butterflies
eine Gesundheitskooperative zu entwickeln, die sie selber managen
werden. Einige Jugendliche arbeiten schon im mobilen Gesundheitsdienst
mit und sollen in Zukunft bezahlte Angestellte der Kooperative
werden. Andere Kinder und Jugendliche betreiben mit Unterstützung
von Butterflies ein Restaurant auf einem überregionalen
Busbahnhof.
Für
ihre Veranstaltungen, um Theater zu spielen oder andere Aktivitäten
durchzuführen, nutzen sie mietfrei zugängliche Räume
der Gemeindeverwaltung. Ebenso verhandeln sie vor Ort mit LeiterInnen
von Werkstätten und Unternehmen, um Ausbildungsplätze
für Jugendliche zu schaffen. So sichern sich sowohl Butterflies
als auch Bal Mazdoor Sangh ihre Einbindung in die Gesellschaft.
Bal
Mazdoor Sangh und Butterflies streben eine überregionale
und internationale Bewegung arbeitender Kinder und Straßenkinder
an und haben dazu Kontakte zu Organisationen in Nepal und Sri
Lanka hergestellt, die mit Kindern ähnlich arbeiten. Ihr
Hauptziel ist jedoch, die Bewegung in Indien selbst voranzubringen.
Bhima
Sangha und CWC
Die
andere Kindergewerkschaft, Bhima Sangha, entstand Anfang
der 90er Jahre in Bangalore, der Hauptstadt des indischen Bundesstaates
Karnathaka, in Folge einer gewerkschaftlichen Aktion. Nachdem
viele arbeitende Kinder an Treffen von Gewerkschaften erwachsener
Arbeiter teilnahmen (zeitweise machten sie 40% der Anwesenden
aus), hatten GewerkschafterInnen Mitte der 80er Jahre gemeinsam
mit arbeitenden Kindern eine Gesetzesvorlage erarbeitet, in der
zwischen Kinderausbeutung ('child labour') und Kinderarbeit
('child work') unterschieden wird. Es wird genau ausgeführt,
welche Tätigkeiten für Kinder ungeeignet sind und wie
sie mit Übergangsregelungen, die die Interessen der Kinder
und ihrer Familien berücksichtigen, allmählich auslaufen
sollen. Um die Gesetzesvorlage einbringen zu können, gründeten
die Erwachsenen den gemeinnützigen Verein „Freunde
der arbeitenden Kinder“ (CWC- The Concerned for Working
Children). Die erklärte Absicht von CWC war
es, eine Verbesserung im Leben der arbeitenden Kinder und ihrer
Familien zu bewirken.
Von
Anfang an zielte CWC auf eine Gesellschaft ohne Ausbeutung
ab. Die arbeitenden Kinder sollten dabei unterstützt werden,
sich ihres Lebens bewusst zu werden, Probleme zu erkennen und
gemeinsam Aktionsschritte zu überlegen. Seit den Anfängen
seines Engagements in Sachen Arbeitsgesetzgebung hat CWC
sein Programm in ständigem Austausch mit arbeitenden Kindern
weiterentwickelt.
1989
gründete CWC in Bangalore ein Zentrum, in dem pro
Jahr mehr als 80 Kinder eine Ausbildung erhalten, aber auch Hilfe
und Beratung finden. Es verfügt über acht Kontaktstellen
auf Märkten und Busbahnhöfen, wo ausgebildete Streetworker
tätig sind. Die Kinder, die das Zentrum besuchen, geben regelmäßig
eine Zeitung ('Bhima Patrike') heraus. Durch dieses Kommunikationsmittel
rückten die arbeitenden Kinder zusammen und bildeten Kindergruppen.
Darüber hinaus ist CWC in vielen ländlichen
Gebieten vertreten, hat in 60 Dörfern Schulen eingerichtet,
die den Bedingungen arbeitender Kinder angepasst sind.
Nachdem
einige Kindergruppen die Idee einer größeren Vereinigung
entworfen hatten, schlug CWC 1990 den Kindern vor, eine
eigene Gewerkschaft zu gründen. So entstand Bhima Sangha
als eine sozial ausgerichtete Organisation für und von arbeitenden
Kindern. Sie fordert für die arbeitenden Kinder ein Recht
auf Schutz und Respekt und besteht darauf, dass sie gleiche Chancen
und Mitsprache in allen Fragen haben, die sie selbst betreffen.
CWC ist für die Kinder-Gewerkschaft die Adresse,
an die sie sich für Information und Unterstützung wenden
kann. Außerdem befinden sich bei CWC die Räumlichkeiten
der Mitglieder und offiziellen VertreterInnen von Bhima Sangha.
Bei
allen Aktivitäten von Bhima Sangha leisten die Kinder
einen eigenen finanziellen Beitrag, weil davon ausgegangen wird,
dass sie eher bei einer Sache bleiben, wenn sie etwas dafür
tun mussten. Mit Unterstützung der Streetworker haben die
Kinder ein Sparprogramm entwickelt und eine Kreditgenossenschaft
aufgebaut, in die jedes Mitglied täglich zwei Rupis einzahlt.
Sie wollen damit ihren Mitgliedern den Zugang zur Schule, zu Ausbildungskursen
und medizinischer Versorgung ermöglichen. Die Vergabe von
Krediten, um Kleingewerbe aufzubauen, ist auch vorgesehen.
Zur
Zeit erreicht Bhima Sangha ungefähr 13 000 Kinder
und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren in Bangalore und
sechs weiteren Distrikten von Karnathaka. In den Städten
sind fast die Hälfte der Mitglieder Mädchen. Diese Kinder
gehen verschiedenen Beschäftigungen nach: Sie arbeiten in
Cafes, Kfz-Werkstätten, im Kleingewerbe oder als selbständige
Müllsammler, Schuhputzer, Träger und Verkäufer.
1996
war Bhima Sangha zusammen mit CWC Gastgeberin
des Ersten Welttreffens arbeitender Kinder und Jugendlicher
in der Stadt Kundapur. Bhima Sangha nahm außerdem
an nationalen und internationalen Treffen arbeitender Kinder in
Afrika, Brasilien und Lateinamerika teil. In jüngster Zeit
sind Bhima Sangha und CWC dabei, mit anderen
indischen NGO’s weitere Kindergewerkschaften zu gründen
und eine Organisation arbeitender Kinder für ganz Indien
ins Leben zu rufen.
Informationen
(auf Englisch): www.workingchild.org
Hier
geht es weiter:
|
|
|
Bewegungen
arbeitender Kinder und Jugendlicher in Asien |
|
|
|