Die Kinderrechte
Die
Debatte um die Kinderrechte kreist heute im wesentlichen um die
Internationale Konvention über die Rechte des Kindes.
Intention dieser Konvention war, dass Kinder spezielle Grundrechte
erhalten sollten, auf die sie sich berufen können. Nach 10-jähriger
Vorarbeit, an der zahlreiche Regierungen und schließlich
auch NGOs beteiligt waren, wurde die Kinderrechtskonvention (KRK)
schließlich 1989 von der General-Versammlung der Vereinten
Nationen einstimmig angenommen. Am 2. September 1990 trat die
Konvention als internationales Recht in Kraft und wurde bis heute
von allen Staaten der Welt mit Ausnahme der USA ratifiziert. Bis
heute ist allerdings ungeklärt, wie Kinder selbst ihre Rechte
konkret durchsetzen können.
Die
Konvention formuliert drei Arten von Rechten, die sich folgendermaßen
beschreiben lassen: protection, provision, participation
(zu deutsch: Schutz, Bereitstellung von Ressourcen, Partizipation).
Im ersten Bereich garantiert die Konvention den Kindern (laut
Konvention alle Menschen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres)
Schutz vor Misshandlung, vor ökonomischer und sexueller Ausbeutung
und vor Diskriminierung aufgrund von Rasse, Geschlecht oder Minderheitenstatus.
Im zweiten Bereich attestiert sie den Kindern das Recht auf ungestörte
frühkindliche Entwicklung, Gesundheitsfürsorge, auf
(Grund-) Schulausbildung und generell auf menschenwürdige
Lebensbedingungen. Im dritten Bereich gibt sie den Kindern das
Recht auf eigenen Namen, auf Staatsbürgerschaft, auf freie
Information und Meinungsäußerung, auf Partizipation
an Entscheidungen über sein Wohlbefinden und schließlich
auch das Recht, sich friedlich zu versammeln und eigene Assoziationen
zu bilden.
In
dem Kontext der Kinderbewegungen stellt sich die Frage, welche
Rolle die Konvention dem Kind bei der Realisierung seiner Rechte
und der Erlangung eines menschenwürdigen Lebens zubilligt.
Wenn ein Staat der KRK zugestimmt hat, ist dieser dazu
verpflichtet, Gesetze und Regelungen zugunsten der Kinder zu ändern.
Aufgrund der ungenauen und vagen Formulierungen in der KRK
haben die einzelnen Staaten jedoch sehr viel Handlungs- und Ermessensspielraum,
was die Umsetzung dieser Konvention anbelangt. So steht bereits
in Art. 1 der KRK: Jeder Staat legt fest, bis zu welchem
Alter seine Bürger als Kinder (noch nicht volljährig)
im Sinne der Konvention gelten. In den deutschen Gesetzen zum
Beispiel heißt es, dass Menschen mit 18 Jahren volljährig
werden. Des weiteren sind die in der Konvention enthaltenen Partizipationsrechte
entweder so vage und allgemein formuliert oder werden soweit von
Bedingungen abhängig gemacht, dass letztlich wieder die Erwachsenen
„im wohlverstandenen Interesse des Kindes“ das letzte
Wort behalten. Nach der die Konvention bestimmenden Logik erscheint
das Kind jedoch in erster Linie als schutz- und hilfsbedürftiges
Wesen, dessen sich die Gesellschaft der Erwachsenen annehmen soll.
Die willkürliche Auslegung durch die herrschenden Instanzen
legt folglich nahe, dass das formal zugestandene Recht letztlich
gegenstandslos werden kann.
Um
sich nicht der Willkür der jeweiligen Länder auszusetzen,
beanspruchen die Organisationen der arbeitenden Kinder ausdrücklich,
die Kinder nicht nur als Nutznießer von besonderen Rechten
zu verstehen, die Erwachsene zu ihren Gunsten definiert haben,
sondern als aktive Wesen mit eigenen Sichtweisen, Fähigkeiten
und Urteilen. Außerdem berufen sich die Kinderbewegungen
nicht nur auf ihre Rechte als Kinder, sondern legen auch den Finger
auf bestimmte subjektfeindliche Merkmale der Gesellschaften, in
denen sie leben, und zeigen Alternativen auf. Dabei greifen sie
die Rechte auf, die einen Bezug zu ihrer Realität haben.
Das heißt, sie fragen sehr konkret, welche Rechte ihnen
nützlich sind und was getan wird, um sie praktisch werden
zu lassen. Die Kinder wollen sich nicht als Alibi instrumentalisieren
lassen.
Die
Bewegungen sind sich generell darin einig, dass die Kinder nicht
nur das Recht, sondern auch die Fähigkeit besitzen, als soziale
Subjekte zu agieren und eine Protagonistenrolle in der Gesellschaft
wahrzunehmen. Spätestens seit der Verabschiedung der KRK
berufen sich alle Bewegungen mit unterschiedlichen Akzentuierungen
auf die dort verankerten Kinderrechte. Sie reklamieren aber auch
Rechte, die in der Konvention nicht enthalten sind, oder stellen
infrage, wie UNICEF, Regierungen und NGOs die Konvention
auslegen und mit ihr in der Praxis umgehen. Die Berufung auf die
Kinderrechte geht in einigen Kinderbewegungen inzwischen so weit,
dass sie auf Mitsprache bei der Ausarbeitung von Gesetzen pochen
und mitunter sogar in die Gesetzgebung eingreifen.
Die
Forderung der arbeitenden Kinder nach mehr Partizipation erstreckt
sich auch auf die wirtschaftliche Sphäre. Nicht alle Kinderbewegungen
reklamieren das „Recht zu arbeiten“, aber sie bestehen
darauf, ihre wirtschaftliche Rolle in der Gesellschaft anzuerkennen,
und leiten hieraus einen erweiterten Anspruch auf politische Partizipation
ab. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass sie im Grunde nur dann
ernst genommen werden und ihre Rechte in Anspruch nehmen können,
wenn ihre soziale Stellung durch eine wirtschaftliche bzw. nützliche
Tätigkeit und unter Umständen ein eigenes Einkommen
gestützt wird.
Neben
der KRK sind die arbeitenden Kinder auch von den Übereinkommen
der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)
betroffen. Das im ILO-Übereinkommen 138 (aus dem
Jahr 1973) festgelegte Mindestalter für die Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit (15 Jahre, bei schweren Arbeiten 18 Jahre)
wird von den Bewegungen der arbeitenden Kinder abgelehnt. Sie
sehen sich dadurch in die Illegalität verwiesen und diskriminiert.
Stattdessen verlangen sie, selbst entscheiden zu können,
ab welchem Alter sie erwerbstätig werden. Die im ILO-Übereinkommen
182 (aus dem Jahr 1999) vorgenommene Differenzierung in akzeptable
und „besonders schlimme“ Formen der Kinderarbeit wird
von den meisten Kinderbewegungen im Prinzip begrüßt.
Sie wenden sich aber dagegen, Kinderhandel, Rekrutierung als Soldaten,
Pornografie und Prostitution als Kinderarbeit zu bezeichnen, sondern
fordern, diese als Verbrechen an Kindern zu bekämpfen. Außerdem
kritisieren sie, dass den Kindern in den ILO-Übereinkommen
so gut wie keine Partizipationsrechte zugestanden werden.
Zusammenfassend
kann zur Internationalen Kinderrechts-Konvention gesagt werden,
dass sie den Kindern zwar das Recht auf eine menschenwürdige
Gegenwart und eine selbstbestimmte soziale Identität verspricht,
sie jedoch ohne nennenswerte Folgen bleibt, solange die Kinder
weiterhin vor allem als Opfer und defizitäre, lediglich zu
beschützende Wesen betrachtet werden. Solange den Kindern
die Fähigkeit bestritten wird, ihre Interessen selbst zu
erkennen und zu vertreten, bleibt die Bestimmung des Kindeswohls
(„best interest of the child“) in das Belieben der
Erwachsenen gestellt.
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