Kunstprojekt "Kids’ Factory" zur Arbeit von Kindern – damals und heute

Die "Kids’ Factory" ist ein fortlaufendes Projekt des Berliner Künstlers Philip Wiegard, bei dem Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren unter Anleitung handgemachte Tapeten produzieren. Die mitwirkenden Kinder werden auf Basis einer Ausnahmeregelung des Jugendarbeitsschutzgesetzes beschäftigt und für ihre Mitarbeit mit einem Honorar entlohnt. Nachdem das Projekt zum ersten Mal 2014 in Hong Kong stattfand, wurde es dieses Jahr in einem ganz neuen Kontext in Berlin-Marzahn wiederholt. Eine Auswahl der entstandenen Tapeten wird im Anschluss an den Workshop in der Galerie M, Marzahner Promenade 46, 12679 Berlin präsentiert. Zur Eröffnung am 01.11.2015 (17.00 bis 21.00 Uhr) lädt der Künstler herzlich ein.

Philip Wiegard berichtet über die Hintergründe des Projektes: "Der Workshop versteht sich als performatives Projekt, dessen zentrales Anliegen die Auseinandersetzung mit Produktions- und Arbeitsbedingungen von der vorindustriellen bis zur heutigen Zeit ist. Ein historischer Bezugspunkt ist die Arbeit in frühkapitalistischen Manufakturen, bei der Kinder wegen ihrer körperlichen Voraussetzungen im großen Stil tätig waren. So hat der Einsatz von Kindern in der Kids’ Factory zunächst den pragmatischen Grund, dass die verschiedenen Muster durch deren kleine Hände detaillierter umgesetzt werden können. Das Projekt widerspricht also der Idee eines herkömmlichen künstlerischen oder pädagogischen Workshops, dessen allgemeine Wertvorstellungen von persönlichem Ausdruck und Kreativität umgekehrt werden. Stattdessen müssen die jungen Teilnehmer*innen innerhalb eines festen Rahmens funktionieren, um die vorgegebenen Muster zu produzieren, aber sie tragen auch Mitverantwortung am Gelingen des Projekts. Für die Kinder wird dieser Unterschied zwischen einem vollwertigen Produktionsprozess und der tendenziellen Wertlosigkeit ihrer Tätigkeit im pädagogischen Rahmen erfahrungsgemäß sehr deutlich. Die Bezahlung wirkt in diesem Sinne nicht als abwertende Geste, sondern als Motivation und Anerkennung ihrer Leistung.

Zeitgenössische Beispiele für die legale Beschäftigung von Kindern in Deutschland sind das Mitwirken Minderjähriger bei Filmaufnahmen oder Theatervorführungen und deren Tätigkeit in gewerblichen Betrieben der Eltern oder in Schüler*innenfirmen. Besonders im pädagogischen Konzept der Schüler*innenfirmen, in dem Kinder im Rahmen der Schule mit realen Mitteln wirtschaften können, drückt sich ein neuerlicher Sinneswandel im Bezug auf die gesellschaftliche Stellung und Handlungskompetenz von Kindern aus. Während das vorliegende Projekt diese Tendenz teilweise antizipiert, wird die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche gleichzeitig auch kritisch beleuchtet. Kindheit und Schulzeit bedeuten heute in der Regel eine durchaus disziplinierte und arbeitsintensive Lebensphase. Sie wird meist getragen von der finanziellen Absicherung durch die Eltern, ist aber gleichzeitig gekennzeichnet durch das konkurrierende Streben nach symbolischem und kulturellem Kapital.

Darin besteht eine strukturelle Ähnlichkeit zu der prekären Situation vieler Selbstständiger in der Kreativindustrie. Denn dort ersetzt das Versprechen von Aufmerksamkeit und Referenzen für den eigenen Lebenslauf in vielen Fällen eine angemessene Bezahlung durch Kunstvermittler*innen und Kunstverwerter*innen und erst durch das Ausweichen auf Nebenjobs wird es möglich, künstlerische Arbeit zu finanzieren. Dieses System von aktuellen Aufmerksamkeitsökonomien und prekären Arbeitsverhältnissen in der Kreativindustrie möchte das Projekt durch die bezahlte Beschäftigung von Kindern hinterfragen."

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Website von Kids' Factory

Aktualisiert: 21.10.2015

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