Folgen der Pandemie
ProNATs-Pressemitteilung zum Welttag arbeitender Kinder 2020: Wie Covid-19 und Lockdowns auf das Leben arbeitender Kinder wirken
Die mediale Berichterstattung hierzulande konzentriert sich auf die Folgen der Pandemie und der damit verbundenen Lockdowns für deutsche und europäische Bürger*innen. Dabei sind außerhalb der Festung Europas Entwicklungen im Gange, die zu „normalen Zeiten“ die Medien füllen würden. ProNATs fordert auf, den Menschen, die im Globalen Süden existenziell von der Pandemie betroffen sind, mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Dazu gehören auch arbeitende Kinder.
Covid-19 hat auch für arbeitende Kinder weltweit gravierende Auswirkungen. Die meisten Kinder arbeiten informell, sie gehören also zu den ersten, die ihre Arbeit verlieren. Sie haben keine Rechtsmittel, um sich dagegen zu Wehr setzen zu können. Sie sind häufig auch Familienmitglieder von Wanderarbeiter*innen oder sind selber welche, weil sie sich von ihren Familien getrennt haben. Wegen der Pandemie müssen Wanderarbeiter*innen größtenteils in ihre Heimatdörfer zurückkehren, doch vielen gelingt dies aufgrund sehr kurzfristig verordneter Grenzschließungen, Ausgangssperren und Polizeikontrollen nicht. Während es manchen gelingt, neue Arbeitsstellen zu finden, bleibt anderen nur noch ein Überleben auf der Straße. Dies gilt umso mehr für Kinder, die keine familiären Bindungen mehr haben. In vielen Ländern des Globalen Südens kommt hinzu, dass staatliche Schulen seit Monaten komplett geschlossen sind. Die Regierungen scheren sich wenig um die Folgen dieser Schließungen für die meisten Kinder. Auch die Bildungsgerechtigkeit bleibt auf der Strecke, denn Privatschulen bleiben größtenteils geöffnet. Ebenso hat häusliche und sexualisierte Gewalt während der Pandemie stark zugenommen.
Doch die Betroffenen wissen sich in vielen Fällen selbst, ganz ohne staatliche Unterstützung, zu helfen. In Lateinamerika organisieren sich viele Gemeinden und sorgen z.B. mit selbst eingerichteten Kochstellen für kostenloses Essen. Sie trotzen Ausgangssperren, indem sie ihren politischen Protest über soziale Medien artikulieren und die korrupten Aktivitäten ihrer Regierungen dokumentieren. Sie gehen auch aktiv gegen die Verbreitung des Virus vor.
Die afrikanische Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher (MAEJT) entwickelte sehr schnell Aktionen in vielen Ländern. Schon Anfang März wurde ein Kurzfilm gedreht, um Kinder und Jugendliche über den richtigen Schutz vor dem Virus zu informieren (siehe: https://youtu.be/Gwq_XV1fTl8). MAEJT erstellte dann ein Handbuch für die Arbeit der Basisgruppen, das arbeitende Kinder und Jugendliche beim Schutz gegen Covid-19 stärken soll. Darin werden nicht nur Informationen über Hygienemaßnahmen visuell aufbereitet und lokale Notrufnummern bei Covid-19-Verdacht aufgeführt. Es wird auch über Fake News zum Virus aufgeklärt. Basisgruppen führen Straßenaktionen zur Sensibilisierung und Aufklärung über die wichtigsten Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus in ihren Gemeinschaften durch. Beispielsweise organsierte die Gruppe des 7. Arrondissement von Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, einen Workshop zu Covid-19 (siehe Fotosammlung). Die Basisgruppe in Tougan (Burkina Faso) schuf für die auf dem Markt arbeitenden Kinder eine Möglichkeit, sich mit Seife die Hände zu waschen (siehe Fotosammlung). Sowohl die Basisgruppe in Oshodi (Nigeria) als auch die Kinderbewegung in Niger organisierte Workshops, in denen das Wissen zur Herstellung von Flüssigseife vermittelt wurde. Hierbei handelt es sich um ein Beispiel für die Förderung von einkommensschaffenden Aktivitäten für Kinder und Jugendliche. Außerdem wurden in Nähworkshops Mund-Nase-Schutzmasken sowie Hände-Desinfektionsmittel hergestellt (siehe Fotosammlung).
Im Kampf gegen die Pandemie sind der Zugang zu Informationen und die Schaffung eines Bewusstseins für die Risiken sehr wichtig geworden. Nur so kann erreicht werden, dass ein Mindestmaß von Schutz gewährleistet und Kenntnisse über das Vorgehen im Fall einer Erkrankung vorhanden sind. Die Bewegung der arbeitenden Kinder und Jugendlichen in Ghana unterstützte z.B. eine Sensibilisierungskampagne der internationalen Organisation für Migration (IOM) in drei Regionen des Landes. Sie verteilten Poster und Postkarten an Busstationen und anderen belebten Orten, auf denen trotz „Social Distancing“ zur Toleranz und Solidarität mit den migrierenden Kindern und Jugendlichen aufgerufen und damit einer Stigmatisierung entgegengewirkt wird (siehe Fotosammlung). Die Pandemie hat auch Auswirkungen auf die Formen der Kommunikation innerhalb der Bewegungen und insbesondere auf die Art und Weise, wie Feste gefeiert werden. Dies zeigte sich z.B. am Tag des afrikanischen Kindes, der am 16. Juni stattfand. Als Alternative zu großen Zusammenkünften wurden die arbeitenden Kinder und Jugendlichen aufgefordert, den Tag in kleineren Gruppen oder durch Diskussionen in den sozialen Netzwerken zu verbringen.
All diese Aktionen zur Selbsthilfe entbinden die Staaten, insbesondere die im Globalen Norden, nicht davon, Verantwortung für die Folgen der Pandemie für die besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppen weltweit zu übernehmen. Um diese Folgen sichtbar zu machen, muss sich die europäische Berichterstattung gleichermaßen für die Schicksale der Menschen im Globalen Süden wie im Global Norden öffnen. Auch Kinder müssen mit ihren Forderungen und Lösungsansätzen zu Wort kommen. Sie dürfen weder von Regierungen noch von Medien als bloße Objekte behandelt werden!
Zur Information: Der Welttag der arbeitenden Kinder und Jugendlichen wird jedes Jahr am 9. Dezember gefeiert. Er wurde 2006 auf Initiative arbeitender Kinder und Jugendlicher etabliert, die seither diesen Tag nutzen, um auf ihre Anliegen hinzuweisen – auch im Sinne einer Kritik an dem internationalen Tag gegen Kinderarbeit am 12. Juni unter Schirmherrschaft der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Downloads
Pressemitteilung Welttag 2020 auf Deutsch
Pressemitteilung Welttag 2020 auf Spanisch
Pressemitteilung Welttag 2020 auf Englisch
Covid-19 Informationsblatt von MAEJT/AMWCY auf Englisch
Covid-19 Informationsblatt von MAEJT/AMWCY auf Französisch
Aktualisiert: 09.12.2020