Institut der deutschen Wirtschaft plädiert für leichteren Zugang zu Kinderjobs

Nach einer im Jahr 2023 veröffentlichten Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) vermitteln die von zahlreichen Kindern im schulpflichtigen Alter ausgeübten Jobs wichtige für den Arbeitsmarkt relevante Fähigkeiten wie Zuverlässigkeit und Eigenständigkeit, und es wird eine Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes angemahnt. Wir setzen uns mit den Ergebnissen und Bewertungen der Studie auseinander und schlagen Alternativen vor.

Nach der Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) geht fast jede*r zweite vollzeitschulpflichtige 17-Jährige*r (41,7 Prozent) neben der Schule oder in den Sommerferien einer bezahlten Arbeit nach. Nicht wenige (14 Prozent) tun dies schon, seit sie 13 oder 14 Jahre alt sind, und manche (1,7 Prozent) haben sogar noch früher damit angefangen.

Die Daten ähneln den Ergebnissen von Studien, die in den 1990er Jahren in mehreren Bundesländern durchgeführt wurden, zuletzt 1999 in Thüringen. Doch es fällt auf, dass die Daten in der neuen Studie grundlegend anders bewertet werden. In den 1990er Jahren wurde vor allem die häufige Verletzung und mangelnde Kontrolle der Vorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes beklagt. Lehrerverbände und der Deutsche Kinderschutzbund warnten vor dramatischen Folgen für Schulbesuch und Schulerfolg, ohne dies allerdings belegen zu können.

In der neuen Studie wird dagegen festgestellt, das Jobben könne „in mehrerlei Hinsicht entwicklungsfördernd wirken“, insbesondere könnten „am Arbeitsmarkt wichtige Fähigkeiten wie Zuverlässigkeit und Eigenständigkeit erworben werden“ und die Arbeitserfahrung könne „einen Pluspunkt bei Bewerbungsverfahren darstellen“. Zudem könne „die Arbeitserfahrung den jungen Menschen Vorteile in der Konkurrenz um Jobs und Praktika während der Schul- und Studienzeit“ verschaffen, „die wiederum für den Einstieg ins Erwerbsleben tatsächlich von Bedeutung sein können“. Darüber hinaus sei es „für die Entwicklung eines kompetenten Umgangs mit finanziellen Ressourcen hilfreich, wenn die Jugendlichen über Gelder verfügen, mit denen sie selbstständig wirtschaften können“. In der Konsequenz wird in der IW-Studie sogar der „Abbau von Hürden“ sowie eine Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes von 1976 und der Kinderarbeitsschutzverordnung von 1998 angemahnt, um jungen Menschen bereits frühzeitig den Umgang mit selbstverdientem Geld zu ermöglichen und die Abhängigkeit von den Eltern zu verringern.

Die IW-Studie stellt besonders heraus, dass die Motive und die Gelegenheiten für die Aufnahme eines Nebenjobs in hohem Maße vom sozialen Status und dem Einkommen der Eltern abhängig seien. Es sind nicht, wie auf den ersten Blick zu vermuten wäre, die Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern, die besonders häufig einen Nebenjob ausüben, sondern die aus eher privilegierten Familien. Demnach jobben rund 52 Prozent der 17-Jährigen, deren Eltern gemessen am Einkommen zur reicheren Hälfte gehören. In der ärmeren Hälfte sind es nur 31,5 Prozent. Dies wird damit erklärt, dass besser situierte Familien über ein besseres Netzwerk verfügen und – so könnte ergänzt werden – in Wohngebieten leben, in denen sich mehr bezahlte Arbeitsgelegenheiten finden. Dadurch haben sie leichteren Zugang, und die Hürde, einen Nebenjob zu finden, ist deutlich geringer.

Geht es um die Motivation, antworten laut IW-Studie zwei Drittel der jobbenden Jugendlichen, sie wollten Geld verdienen, um sich „besondere Wünsche“ zu erfüllen und sich dadurch auch unabhängiger von ihren Eltern zu machen. Für knapp 68 Prozent gilt der Verdienst als ausschlaggebend. Allerdings werden in der IW-Studie auch hier Unterschiede konstatiert: Je reicher die Eltern, desto wichtiger sei den Jugendlichen „das Interesse an der Tätigkeit selbst“. Demnach suchen sie sich und finden oft Tätigkeiten, die interessant und abwechslungsreich sind. Es wäre hinzuzufügen, dass diese Tätigkeiten meist auch besser bezahlt werden.

Die IW-Studie mit ihrem Plädoyer, die Nebenjobs junger Menschen als positiven Beitrag zur persönlichen Entwicklung anzuerkennen und die bisher bestehenden Hürden gerade für Kinder aus benachteiligten Familien zu senken, hängt vermutlich mit den wirtschaftlichen und politischen Interessen des arbeitgebernahen Forschungsinstituts zusammen. Es könnte aber auch davon beeinflusst sein, dass sich seit mehreren Jahren das Bild von Kindern und Jugendlichen verändert. So werden sie heute in der Kindheitsforschung eher als soziale Akteur*innen verstanden, und es wird ihr wachsender Wunsch aufgegriffen, dem Kindheitsstatus und der damit verbundenen Marginalisierung und Unterordnung zu entkommen.

Die in der IW-Studie beschworene „Chancengerechtigkeit“ ist auf den Zugang zum Arbeitsmarkt beschränkt. Dabei setzt sie sich nicht mit dem Problem auseinander, dass gerade die Nebenjobs, die Kindern aus ärmeren Familien (oder von Empfänger*innen des „Bürgergelds“) zugänglich sind oder werden könnten, in der Regel besonders eintönig und schlecht bezahlt sind. Hinzukommt, dass gerade mit der Digitalisierung der kapitalistischen Ökonomie neue versteckte Formen von Ausbeutung entstehen, die nicht auf die Arbeitssphäre im traditionellen Sinne beschränkt bleiben, zum Beispiel die Instrumentalisierung junger Menschen als „Trendsetter*innen“ und „Influencer*innen“ in neuen Marketingstrategien. Die IW-Studie setzt sich dem Verdacht aus – ähnlich wie kürzlich Gesetzesinitiativen in einigen Bundesstaaten der USA (siehe hier) – den profitorientierten Unternehmen billige und gefügige Arbeitskräfte leichter zugänglich machen zu wollen.

Diese Problematik wird noch dadurch unterstrichen, dass die IW-Studie an keiner Stelle auf die Probleme eingeht, die sich aus der Verbotslogik des geltenden Jugend- und Kinderarbeitsschutzes ergeben. ProNATs hat ebenso wie die Bewegungen arbeitender Kinder und Jugendlichen des Globalen Südens mehrmals betont, dass Gesetze, die jungen Menschen bis zu einem bestimmten Mindestalter verbieten, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, diese in ein rechtloses Dunkelfeld verbannen und sie bei der Arbeit weitgehend schutzlos machen. Diesen jungen Menschen bleiben Arbeitsrechte verwehrt, auf die sie sich bei ihrer Arbeit berufen könnten. 

Um die dadurch entstehenden Probleme zu lösen, muss jungen Menschen ermöglicht werden, sich bei der Arbeit gegen jegliche Form von Ausbeutung zu wehren und unter menschenwürdigen Bedingungen zu arbeiten. Die Gesetzgebung steht also vor der Aufgabe, die Schutz- und Mitwirkungsrechte bei der Arbeit zu verbessern und den Unternehmen ebenso wie Privatpersonen Bedingungen zu stellen, die die Menschenwürde auch von jungen Menschen bei der Arbeit gewährleisten. Ein Recht der Kinder, unter würdigen Bedingungen zu arbeiten, würde dies begünstigen. Darüber hinaus müssten für junge Menschen jenseits der profitorientierten Unternehmen mehr legale Gelegenheiten geschaffen werden, in denen sie eine für sie interessante und vorteilhafte Arbeit ausüben und ein angemessenes Einkommen erwerben können.

Dies erfordert ein grundlegendes Umdenken, weg von Verboten, hin zur Regulierung der Arbeitsbedingungen. Da wirtschaftliche Ausbeutung zu den Grundelementen der kapitalistischen Ökonomie gehört, ist es dringend notwendig, gerade für und mit jungen Menschen eine soziale und solidarische Ökonomie auf den Weg zu bringen, in der nicht der Profit, sondern die Menschenwürde und das Wohlergehen der Menschen ausschlaggebend sind.

Es wäre auch mal wieder darüber nachzudenken, warum junge Menschen mit wachsendem Alter die Schule als öde, sinnlos und stressig empfinden und was dagegen getan werden könnte. Mehr Pflichtpraktika, wie Andrea Nahles, die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, empfahl (siehe hier), würden den Stress eher erhöhen. Stattdessen sollten den Schüler*innen mehr freiwillige Gelegenheiten geboten werden, bereits während der Schulzeit anregende Arbeitserfahrungen zu machen, eigenes Einkommen zu erlangen und sich mit den Bedingungen der kapitalistischen Arbeitswelt auseinanderzusetzen. Die Schule als Pflichtveranstaltung, die vorwiegend der Herstellung von „Humankapital“ dient, steht insgesamt auf dem Prüfstand.

Aktualisiert: 10.07.2024