Menschenwürdige Arbeit oder Mentalität des Erfolgs? Ein Beispiel aus Lateinamerika

In einer Zeitung in Bolivien fanden wir kürzlich einen Artikel, in dem über einen Club berichtet wird, der Kinder zu Unternehmer*innen machen will. Sie sollen eine “Mentalität des Erfolgs” erwerben und so zu Führungskräften bei der Veränderung des Landes werden. Wir fragen uns, ob diese neoliberale Vision zur Lösung der Lebensnöte von Kindern und ihren Familien, die gezwungen sind, in großer Armut leben, beitragen kann. Lesen Sie im Folgenden den ins Deutsche übersetzten Artikel und danach einen Kommentar unsererseits.

Erste Schule für Kinderunternehmer*innen in Südamerika

Der Gründer des Club Emprendedor (Club der Unternehmer*innen), Dardo Ríos, will Minderjährige ausbilden, die „für ihre Träume arbeiten“. Es gibt erfolgreiche Erfahrungen von Kleinen, die ihre Miniunternehmen eröffnet haben.

Im Alter von neun Jahren besitzt ein paraguayisches Mädchen eine Firma für Haarschmuck. Sie ist eines von mindestens 5.000 Kindern (allein aus diesem Land), die die erste Schule für Kinderunternehmer*innen in Südamerika durchlaufen haben, die diesen Monat in Bolivien ankommen soll.

Der Schöpfer dieser Plattform und Geschäftsführer des Club Emprendedor, Dardo Ríos, sagte, er wolle diese Art von erfolgreicher Erfahrung in Cochabamba wiederholen, mit der Ausbildung von zunächst fünfzig Kindern. Sie werden am 23. Januar 50 Kinderunternehmer*innen ausbilden.

Rios sagte, dass sie sich auf die Entwicklung von Kindern zu Unternehmer*innen konzentrieren. „Mit nur einem Training haben (die Kinder) bereits eine Vorstellung davon, was Unternehmertum ist.“ Während des Prozesses, der drei Stunden dauert, haben Kinder zwischen 7 und 14 Jahren Zugang zu Geschichten über Unternehmertum, sie werden über Ersparnisse, Investitionen, Ausgaben, Einkommensquellen informiert; alles durch theoretische, praktische und animierte Übungen. Das Ergebnis ist ein Kind, „das nicht mehr um Geld bittet, sondern mit seinen Eltern darüber spricht, wie es Geld erzeugen kann, um seine kleinen Dinge zu kaufen“.

Um das Wissen der geschulten Kinder zu festigen, stellt der Club digitale Spiele zur Verfügung, die über Geschäfte lehren. Diese können auf einem Computer oder einem Mobiltelefon verwendet werden. „Wir haben die Vision, eine Mentalität des Erfolgs bei den Kindern zu schaffen, die als zukünftige Führungskräfte die Welt verändern werden", so die Schöpfer dieses Projekts, Dardo Rios und Mabby Rios. Während des gesamten Prozesses beziehen sie die Eltern mit ein.

Nach der Ausbildung von Mini-Unternehmer*innen in Cochabamba plant der Club Emprendedor in den nächsten zwei Monaten eine Tour durch den Rest des Landes. Rios rechnet damit, dass die Nachfrage groß ist. Die Kontingente für den Kurs, der in Cochabamba stattfinden soll, sind erschöpft und ein neuer Termin ist geplant.

Die durch die Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise hat in den letzten Monaten zu Kinderarbeit geführt. Berichte von internationalen und nichtstaatlichen Organisationen bestätigten diese Situation. Dies ist einer der Faktoren, die den Club Emprendedor motiviert haben, den Jüngsten zu Hause finanzielle Bildung zu vermitteln.

Einige Tipps von Expert*innen zur Ausbildung von Kinderunternehmer*innen zu Hause sind die folgenden:

  • Anstatt den Kindern ein Taschengeld zu geben, ist es praktischer, sie für jede Aufgabe zu bezahlen, die sie im Haushalt erledigen.
  • Andererseits sollten Sie ihnen erklären, was ein Geschäft ist. Die Eltern sollten erklären, was Einkommen und Ausgaben bedeuten.
  • Es wird empfohlen, ihnen inspirierende Geschichten von Unternehmer*innen oder Geschäftsleuten zu erzählen.
  • Es ist auch gut, sie vor Herausforderungen zu stellen, z.B. wenn sie ein neues Handy wollen, kann man ihnen - entsprechend ihren Möglichkeiten - ein Startkapital geben, um einige Verkäufe zu machen und Gewinne zu erzielen.
  • Schließlich raten sie dazu, die Kinder nicht unter Druck zu setzen. Wenn sie noch nicht bereit sind, sich auf den Weg zu machen, ist es gut, ihnen Zeit zu lassen.

Kommentar

Im Globalen Süden arbeiten die meisten Kinder, weil das Einkommen ihrer Familien nicht zum Leben reicht. Sie stehen zu ihrer Arbeit und sind stolz darüber, Mitverantwortung zu übernehmen. Aber sie müssen oft unter Bedingungen arbeiten, die ihre Menschenwürde verletzen, ihre Gesundheit gefährden und wenig Zeit für die Schule lassen. Oft werden sie noch mehr ausgebeutet als ihre Eltern (wenn diese überhaupt eine Arbeit haben), weil sie das schwächste Glied in der Kette sind. Die Corona-Pandemie hat ihre Situation noch verschlimmert.

Die Bewegungen arbeitender Kinder setzen sich deshalb seit vielen Jahren für bessere Arbeitsbedingungen und für eine Arbeit ein, die ihren Wünschen und Interessen entspricht, ihnen ermöglicht, Nützliches fürs Leben zu lernen und Zeit für Bildung, Erholung, Spiel und Sport zu haben. Sie setzen darauf, dass dies am ehesten gelingt, wenn sie sich gegenseitig unterstützen und endlich das Recht bekommen, in Würde zu arbeiten.

Um dies zu erreichen, haben Kinder mitunter sogar – meist mit Unterstützung von Kinderrechts- oder Nachbarschaftsorganisationen – eigene kleine Unternehmen geschaffen, in denen sie ihre Arbeit gemeinsam und selbstbestimmt organisieren und sich ein Einkommen verschaffen können. In Afrika nennen die Kinderbewegungen das „einkommensschaffende Aktivitäten“, in Lateinamerika „Kooperativismus“. In diesen kooperativen Aktivitäten geht es nicht darum, sich eine „Mentalität des Erfolgs“ anzutrainieren, sondern eine Arbeit zu machen und Dinge zu lernen, die ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Im Zentrum stehen die „gute Arbeit“ und der Gebrauchswert der Produkte, nicht das „Finanzmanagement“. Sie müssen sich zwar auch Gedanken machen, wie sie mit Geld umgehen und zu Einkommen gelangen, aber das ist für sie kein Selbstzweck. Sie müssen zwar etwas „unternehmen“, aber sie verstehen sich nicht als Unternehmer*innen in dem Sinn, wie es in der kapitalistischen Wirtschaft üblich ist.

Die „Träume der Kinder“, auf die sich die Schöpfer der Schule für Kinder-Unternehmer*innen berufen, bestehen nicht darin, Unternehmer oder Besitzer von Unternehmen zu werden, sondern den nächsten Tag zu überleben. Wie soll ein Kurs von vier Stunden die Kinder zu Unternehmer*innen machen und aus der Armut befreien? Sie schaffen es höchstens, in den Köpfen der Kinder die neoliberale Illusion zu verankern, sie könnten ein besseres Leben haben, wenn sie sich nur richtig anstrengen und die oben erwähnte „Mentalität des Erfolgs“ entwickeln. Die Schöpfer der Schule haben im Grunde nicht die Kinder im Blick, die arbeiten müssen, um ihre Familien zu unterstützen, sondern Kinder, deren Eltern ihnen ein Taschengeld dafür zahlen können, wenn sie ein bisschen zu Hause helfen. Doch wie sollen das Eltern können, die auf das Einkommen ihrer Kinder angewiesen sind? Es wäre Aufgabe des Staates, ihnen Gelegenheiten zu bieten, unter würdigen Bedingungen zu arbeiten und Geld zu verdienen. Dazu müssten zu allererst die Gesetze beseitigt werden, die Kindern verbieten zu arbeiten und die arbeitenden Kinder in die Illegalität treiben und oft sogar kriminalisieren.

Wer Kindern suggeriert, sie sollten und könnten zu „Unternehmer*innen“ werden, hat oft eher im Sinn, eine bestimmte Ideologie in den Köpfen der Kinder zu verankern, dass jeder seines Glückes Schmied sei. Die tatsächlichen Lebensbedingungen geraten dabei ebenso aus dem Blick wie die Notwendigkeit, eine Wirtschaft zu schaffen, die nicht auf Profit, sondern auf ein gutes Leben ausgerichtet ist.

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Originalnachricht in der bolivianischen Zeitung Opinión

Aktualisiert: 14.01.2021