Die Weltbewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher

Die Bewegungen arbeitender Kinder und Jugendlicher sind nicht nur auf lokaler, nationaler und kontinentaler Ebene vernetzt. Inzwischen gibt es auch Ansätze einer Weltbewegung – ihre gemeinsamen Forderungen sind in den „10 Punkten von Kundapur“ formuliert. Seit 1996 haben drei interkontinentale Treffen stattgefunden. Bisher ist es nicht gelungen, weitere interkontinentale Treffen zu veranstalten, aber es besteht eine kontinuierliche Kommunikation zwischen den Bewegungen in den Kontinenten des Globalen Südens und mit Unterstützungsgruppen in Europa.

Lokale, nationale und kontinentale Vernetzung der Bewegungen

Demokratisch gewählte Delegierte der Bewegungen arbeitender Kinder und Jugendlicher kommen alle ein bis zwei Jahre auf nationalen und internationalen Treffen zusammen, um ihre Erfahrungen auszutauschen, die Lebenssituation der arbeitenden Kinder in anderen Teilen ihres Landes oder in anderen Ländern ihres Kontinents zu studieren, um gemeinsame Forderungen und Vorschläge zu formulieren und Aktionen und Strategien abzusprechen. Oft werden die Kindertreffen von Treffen erwachsener Unterstützer*innen begleitet. In Afrika und Lateinamerika besteht je eine kontinentale Koordinationsstelle, in Asien fehlt bisher eine länderübergreifende Organisation obwohl es mehrmals Ansätze dazu gab.

Seit Mitte der 1990er Jahre versuchen die Kinderbewegungen in Afrika, Asien und Lateinamerika auch über die Kontinente hinweg miteinander Kontakt zu halten und Erfahrungen auszutauschen. Im November und Dezember 1996 fand in der südindischen Stadt Kundapur ein erstes interkontinentales Treffen statt. 34 Delegierte aus 33 Ländern reisten an. Nach 14 Tagen intensiver Diskussion beschlossen sie zehn gemeinsame Forderungen. Diese „10 Punkte von Kundapur“ gelten seither als das wichtigste Manifest arbeitender Kinder über nationale und kulturelle Grenzen hinweg:

  1. Wir wollen, dass unsere Probleme, unsere Vorschläge, Bemühungen und Organisationen beachtet und anerkannt werden.
  2. Wir sind gegen den Boykott von Waren, die von Kindern gemacht wurden.
  3. Wir wollen Respekt und Sicherheit für uns und die Arbeit, die wir leisten.
  4. Wir wollen Unterricht, in dem wir etwas über unsere Situation und für unser Leben lernen.
  5. Wir wollen eine Berufsausbildung, die unseren Fähigkeiten und unserer Lebenssituation entspricht.
  6. Wir wollen eine gute Gesundheitsversorgung, die für arbeitende Kinder zugänglich ist.
  7. Wir wollen bei allen Entscheidungen gefragt werden, die uns betreffen, egal ob diese Entscheidungen in unseren Städten, Dörfern, unseren Ländern oder international getroffen werden.
  8. Wir wollen, dass die Ursachen für unsere Situation, vor allem die Armut, benannt und bekämpft wird.
  9. Wir wollen, dass auf dem Land Lebensmöglichkeiten erhalten oder geschaffen werden, so dass Kinder nicht in Städte abwandern müssen.
  10. Wir sind gegen Ausbeutung unserer Arbeit, wir wollen in Würde arbeiten und Zeit zum Lernen, Spielen und Ausruhen haben.

Treffen auf interkontinentaler Ebene

Seit dem ersten interkontinentalen Treffen in Kundapur gab es zahlreiche Zusammenkünfte auf den einzelnen Kontinenten, und es bestehen Ansätze einer Weltbewegung arbeitender Kinder, die sich als Teil der globalisierungskritischen Bewegung versteht. Mit Unterstützung von ProNATs und ItaliaNATs konnte im April und Mai 2004 ein zweites Welttreffen mit 30 Delegierten aus 22 verschiedenen Ländern in Berlin stattfinden. Ganz bewusst hatte sich die Bewegung sich für eine europäische Hauptstadt als Veranstaltungsort entschieden: Die Menschen und insbesondere die Politiker*innen im Norden sollten endlich wahrnehmen, dass die arbeitenden Kinder für sich selbst sprechen können und bei allen sie betreffenden Fragen mitentscheiden wollen.

Die in der Weltbewegung vereinten Bewegungen wenden sich gegen das internationale Verbot von Kinderarbeit und fordern stattdessen, die Bedingungen, unter denen Kinder arbeiten, differenziert zu bewerten und zu verbessern. Ihr gemeinsames Ziel ist eine Welt ohne Armut, Ausbeutung, Diskriminierung und Unterdrückung, in der Kinder frei entscheiden können, ob und wie sie arbeiten wollen. Wer arbeitet, soll das in Würde tun können. Deshalb fordert die Weltbewegung für alle Kinder das Recht, in menschenwürdigen Verhältnissen zu leben, als Subjekte mit eigener Meinung und eigenen Bedürfnissen respektiert zu werden und eine kostenfreie, qualifizierte und lebensnahe Bildung zu erhalten. Tatsächlich ist es der Kinderbewegung während des Welttreffens in Berlin gelungen, erstmals eine breitere Öffentlichkeit im Globalen Norden zu erreichen, die Resonanz der Medien war enorm.

Innerhalb von zehn Jahren sind weitere Knoten im Netzwerk entstanden. Ein drittes Welttreffen im Oktober 2006 im italienischen Siena sollte den Aufbau der Weltbewegung weiter vorantreiben, deren Grundsteine in den zwei vorherigen Treffen gelegt worden waren. Es wurde eine interkontinentale Koordination für die Weltbewegung der NATs beschlossen. Die Idee wurde diskutiert, ein Importsiegel für Güter aus „fairer Kinderarbeit“ zu schaffen und ein Aktionsplan für die Zukunft wurde erarbeitet. Gegen Ende dieses Treffens beschloss die Bewegung, fortan den 9. Dezember als „Welttag der arbeitenden Kinder“ zu feiern, als Alternative zum 12. Juni, den die ILO zum „internationalen Tag gegen Kinderarbeit“ auserkoren hat. Die Erklärung von Kundapur am 9. Dezember 1996 gilt als der Beginn der weltweiten Bewegung der arbeitenden Kinder.

Seit dem dritten Welttreffen in Siena werden die Kommunikation und die gegenseitige Unterstützung der Bewegungen über Kontinente hinweg vor allem über das Internet gestaltet. Im Oktober 2017 trafen sich in La Paz (Bolivien) über 250 Vertreter*innen der Bewegungen arbeitender Kinder und Jugendlicher, Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen von Kinderrechts-NGOs und sozialen Bewegungen aus vier Kontinenten beim „Internationalen Forum: Öffentliche Politik mit arbeitenden Kindern und Jugendlichen – Perspektiven und Erfahrungen aus der Perspektive des Globalen Südens“.

Weitere Aktivitäten

Anlässlich der Global Child Labour Conference der ILO, die am 10. und 11. Mai 2010 in Den Haag (Niederlande) stattfand, organisierte die Weltbewegung mit Unterstützung von ProNATs und anderer europäischer Solidaritätsgruppen vor Ort eine Gegenkonferenz. Auf dieser Konferenz wurde kritisiert, dass die ILO den arbeitenden Kindern noch immer das Recht verweigert, an den ILO-Konferenzen und in den ILO-Gremien mit Sitz und Stimme mitzuwirken. Vor dem Konferenzgebäude fanden Protestaktionen statt, die große öffentliche Resonanz fanden. Vor der Global Child Labour Conference der ILO, die vom 14.-16. November 2017 in Buenos Aires (Argentinien) stattfand, beteiligten sich die Bewegungen an einer Initiative verschiedener NGOs (terre des hommes, Kindernothilfe, Save the Children Canada u.a.), die darauf abzielte, den Stimmen der arbeitenden Kinder Gehör zu verschaffen. Sie stand unter dem Motto: „It’s time to talk!“. Auf dieser ILO-Konferenz wurde den arbeitenden Kindern erneut verwehrt, teilzunehmen. Die Kinderbewegung Lateinamerikas und der Karibik (MOLACNATs) hat daraufhin eine Beschwerde beim UN-Kinderrechtsausschuss gegen die Verletzung ihre Partizipationsrechte erhoben.

Delegierte der Bewegungen arbeitender Kinder nahmen auch an mehreren Weltkongressen zu den Kinderrechten teil, so 2007 in Barcelona, 2011 in San Juan (Argentinien), 2014 in Puebla (Mexiko) und 2016 in Asunción (Paraguay).

Vom 25. Mai bis 4. Juni 2015 hielt sich eine Delegation von MOLACNATs mit Unterstützung von BélgicaNATs, ProNATs und des bolivianischen Botschafters bei der EU in Brüssel, Bonn und Genf auf, um sich für die internationale Unterstützung eines neuen Kinder- und Jugendgesetzes in Bolivien einzusetzen. In Brüssel fand mit Unterstützung der Fraktion der spanischen Partei PODEMOS eine Veranstaltung im Europaparlament sowie Gespräche mit Vertreter*innen der Europäischen Kommission, der ILO, NGOs und Schüler*innen mehrerer Schulen statt. In Bonn nahmen eine Delegierte aus Bolivien und ein Delegierter aus Paraguay an einer Fachkonferenz zum bolivianischen Gesetz teil, die von der Kindernothilfe und terre des hommes veranstaltet wurde. In Genf fanden Gespräche mit Vertretern von ILO-IPEC und mehrerer NGOs statt, allerdings wurde den Delegierten erneut verwehrt, auf der zeitgleich stattfindenden ILO-Generalversammlung zu Wort zu kommen.

Seit 2018 setzen sich die Bewegungen der arbeitenden Kinder gemeinsam dafür ein, im Rahmen des UN-Systems auch Kinder als „Verteidiger*innen der Menschenrechte“ anzuerkennen. Sie fordern eine direkte Mitwirkung in UN-Gremien sowie einen besseren Schutz und mehr Unterstützung bei ihrem Einsatz für die Rechte von Kindern in Notlagen, insbesondere in bewaffneten Konflikten, von Kindern indigener Gemeinschaften und von Kindern, die auf der Flucht sind. Einige Bewegungen beteiligen sich seit Mitte 2019 auch an den Aktivitäten der weltweiten Klimabewegung Fridays for Future.

Seit April 2020 tauschen die Bewegungen arbeitender Kinder in Afrika, Lateinamerika und Indien ihre Erfahrungen aus, die sie während der Corona-Pandemie machten, und geben sich Ratschläge, wie sie sich schützen und den einschneidenden Folgen der Pandemie für sich und ihre Familien entgegenwirken können. Einige Bewegungen kritisieren vor allem, dass die Regierungen bei ihren Maßnahmen keine Rücksicht auf die arbeitenden Kinder nehmen und sie ihrem Schicksal überlassen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Pandemie kein unabwendbares Naturereignis ist, sondern durch die rücksichtlose Ausbeutung der außermenschlichen Natur mit verursacht wurde. 

Aktualisiert: 14.12.2020