UN Tag der Generaldebatte über Kinder als Verteidiger der Menschenrechte

Auf Initiative des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes findet am 28. September 2018 in Genf ein Tag der Generaldebatte statt. Das Thema dieser Veranstaltung ist: „Die Förderung von Kindern als Verteidiger der Menschenrechte“ und ihre Anerkennung im Menschrechtssystem der Vereinten Nationen. Zur Veranstaltung sind auch Kinder und Jugendliche eingeladen. Die Bewegung der arbeitenden Kinder Lateinamerikas (MOLACNATs) wird mit zwei Kindern und einem erwachsenen Begleiter vertreten sein. Ein Mitglied von ProNATs hat zu dem Thema einige Thesen verfasst. Im Anschluss dokumentieren wir das Dokument, das MOLACNATs erstellt hat, in deutscher Übersetzung.

Kinder als Verteidiger der Menschenrechte – Einige Reflexionen

1. Die Notwendigkeit und Legitimation, Kinder als Verteidiger der Menschenrechte anzuerkennen, folgt aus der Tatsache,

  • dass Kinder aufgrund der UN-Kinderrechtskonvention als Rechtssubjekte anerkannt sind;
  • dass Kinder spezifische Erfahrungen machen und Interessen besitzen, die sich von denen anderer Altersgruppen unterscheiden;
  • dass Kinder spezifische Sichtweisen der Welt, in der sie leben, haben, die nur zum Zuge kommen, wenn sie auch von den Kindern selbst zum Ausdruck gebracht werden.

2. Kinder als Verteidiger der Menschenrechte anzuerkennen, ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, weil

  • Kinder sich weltweit in einer untergeordneten sozialen Stellung befinden, die häufig zur Nichtbeachtung oder Verletzung ihrer Menschenrechte führt;
  • Viele Kinder aufgrund ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Behinderungen oder ihrer Lebensgeschichte und Lebensweise besonderen sozialen Benachteiligungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind;
  • Nur durch die aktive Beteiligung von Kindern an gesellschaftlichen und politischen Angelegenheiten ihre Gleichberechtigung bei Anerkennung ihrer spezifischen Interessen und Sichtweisen erreicht werden kann.

3. Um als Verteidiger der Menschenrechte wirksam handeln zu können, müssen

  • Die Rechte der Kinder als subjektive Rechte verstanden werden, d.h. als Rechte, die die Kinder selbst einfordern und in Anspruch nehmen können;
  • Kinder als Bürgerinnen und Bürger soziale und rechtliche Anerkennung finden, was auch politische und ökonomische Rechte, einschließt, die sie bisher nicht haben (insbesondere das Wahlrecht und das Recht, in Würde zu arbeiten);
  • Die soziale Stellung der Kinder in der Gesellschaft im Verhältnis zu anderen Bevölkerungsgruppen gestärkt werden;
  • Kinder über soziale Räume verfügen, in denen sie sich ihrer Interessen und Rechte versichern und zu eigenen Schlüssen und ggf. gemeinsamen Forderungen und Initiativen gelangen können;
  • Kinder sich in eigenen sozialen Bewegungen und Organisationen zusammenschließen können, sowie als kollektiv handelnde Subjekte Anerkennung finden, gefördert und unterstützt werden.

4. Eigene soziale Bewegungen und Organisationen von Kindern sind eine besonders geeignete Form der Verteidigung der Menschenrechte, weil

  • Kinder durch sie ermutigt werden, sich in der Gesellschaft zu artikulieren;
  • Kinder sich auf kollektive Weise eher Gehör verschaffen können;
  • Sich in ihnen bereits eine Fülle von Erfahrungen verkörpert, wie Menschenrechte von Kindern selbst verteidigt werden und wie Kinder in eigener Initiative dazu beitragen können, Gesellschaften in generationaler und sozialer Hinsicht gerechter werden zu lassen.

5. Ein Beispiel sind die Bewegungen und Organisationen arbeitender Kinder des Globalen Südens:

  • Sie haben in Lateinamerika eine Geschichte von mehr als 40 Jahren, in Afrika und Asien (hier vor allem Indien) eine Geschichte von fast 30 Jahren.
  • Trotz aller Schwierigkeiten und politischen Konjunkturen ist es ihnen gelungen, über mehrere Generationen hinweg Kontinuität zu bewahren.
  • Trotz kultureller und politischer Unterschiede zwischen den Kontinenten, Ländern und Regionen haben sie ähnliche Ziele und Projektionen entwickelt.
  • Sie setzen sich in ihren Ländern und Regionen aktiv für die Verwirklichung der Menschenrechte aller Kinder ein, wobei sie auch eigens Rechte proklamieren, die so in der UN-Kinderrechtskonvention nicht vorgesehen sind (z.B. das Recht, in Würde oder in altersangemessener Weise zu arbeiten, oder das Recht, an ihren Herkunftsorten bleiben und dort ein menschenwürdiges Leben führen zu können).
  • Sie beschränken sich nicht darauf, Forderungen an die Staaten und internationalen Organisationen zu richten, sondern praktizieren Lebens- und Wirtschaftsformen, die es ihnen ermöglichen, der Armut entgegenzuwirken und ein Leben in Würde zu führen (z.B. Formen lokaler solidarischer Ökonomie und Selbstversorgung).
  • Mit ihren lokalen Aktivitäten und Organisationsformen schaffen sie Räume, in denen besonders sozial benachteiligte und marginalisierte Kinder sich gegen Missbrauch, Ausbeutung und Gewalt schützen können.
  • Mit ihren horizontalen, basisdemokratischen Strukturen stellen sie ein Sozialisations- und Lernfeld dar, in dem wirkungsvolle (nicht nur symbolische) Bürgerschaft auf lebendige und altersangemessene Weise praktiziert und geübt werden kann.
  • Mit ihren Organisationsformen, in denen Kinder selbst Entscheidungen treffen können, geben sie ihren Gesellschaften und der internationalen Gemeinschaft ein Beispiel, wie adultistische Strukturen überwunden und das Verhältnis der Generationen auf gleichberechtigte, respektvolle und dialogische Weise gestaltet werden kann.

Manfred Liebel

Berlin/Potsdam, 06.09.2018


MOLACNATS: Die Stimme der organisierten arbeitenden Kinder Lateinamerikas beim Tag der Generaldebatte (Genf, 28. September 2018)

Wir arbeitenden Kinder und Jugendlichen (NNATs) verschiedener Generationen organisieren uns in Lateinamerika seit 42 Jahren, die Organisation der NNATs wurde von den Compañeros und Compañeras in Peru initiiert. Die Realität der Mehrheit der Bevölkerung in den Familien unseres Kontinents ist von Elend und extremer Armut geprägt, oft haben wir nicht einmal genug zu essen, und wir verteidigen, dass menschenwürdige Arbeit und die eigene Organisation Werkzeuge sind, um dieser Realität zu begegnen.

Deshalb sind wir zur lateinamerikanischen und karibischen Bewegung der arbeitenden Kinder und Jugendlichen geworden, die derzeit aus Organisationen in neun Ländern besteht. Auf unserem X. lateinamerikanischen Treffen, das im August 2018 in Asunción (Paraguay) stattfand, sind wir übereingekommen, dass die lateinamerikanische Koordination unserer Bewegung am Tag der Generaldebatte, der vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in Genf veranstaltet wird, teilnehmen soll. Wir glauben, dass es ein reichhaltiger und zeitgemäßer Prozess ist, in dem wir als arbeitende Kinder und Jugendliche, die organisiert für ihre Rechte kämpfen, unsere Ansichten und Vorschläge für eine bessere Welt einbringen können. Aus diesem Grund haben wir unsere eigenen Konsultationen mit einigen Organisationen und Basisgruppen, insbesondere in Paraguay, Peru und Argentinien, veranstaltet, und die anderen Länder haben bei der Erstellung dieser Präsentation mitgewirkt. Wir haben den zu diesem Zweck vom Ausschuss vorgegebenen Leitfaden verwendet und ihn für jede der Gruppen, mit denen wir die Konsultation durchgeführt haben, an die jeweiligen Bedingungen angepasst.

Auf diese Weise wollen wir unseren Stimmen Gehör verschaffen und damit auf den Präsentationsleitfaden der Organisatoren des Tages der Generaldebatte reagieren.

Arbeitende Kinder und Jugendliche als Verteidiger der Menschenrechte

Für uns als lateinamerikanische und karibische Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher (MOLACNATs) sind Menschenrechtsverteidiger diejenigen, die sich für die Verteidigung ihrer eigenen Rechte und für die Verteidigung der Rechte anderer, insbesondere ihrer Altersgenossen, einsetzen. Wir glauben, dass arbeitende Kinder, organisierte Kinder, Bauernkinder, indigene Kinder, alle diejenigen, die für ihre Rechte in der Welt kämpfen, als Menschenrechtsverteidiger anerkannt werden sollten.

Kapazitäten und Herausforderungen der NNATs als Menschenrechtsverteidiger

Wir kämpfen dafür, dass wir als arbeitende Kinder und Jugendliche, die ein Teil der Gesellschaft sind, anerkannt werden und nicht für die Verteidigung dieses Rechts kriminalisiert werden. Darüber hinaus kämpfen wir für die Rechte aller Kinder. Wir tun es durch Märsche, Versammlungen, durch Protestaktionen, immer auf dem neuesten Stand durch Organisation, Ausbildung, Verantwortung in der Gemeinschaft und Schule, in unserer Arbeit und mit unseren Familien.

Wir sind der Meinung, dass unsere Rolle als Organisation und auf individueller Ebene darin besteht, die Verpflichtungen, die wir in unseren Gruppen haben, zu erfüllen, Informationen auszutauschen, Bedürftigen zu helfen, Kinder in unsere Gruppen zu integrieren, zu debattieren, zu kommunizieren und Wissen zu vermitteln. All dies erfordert, dass Erwachsene uns begleiten, unterstützen und informieren, dass sie uns mehr zuhören und weniger sprechen. Dass sie unsere eigenen Bereiche respektieren und uns unterstützen. Dass sie uns wissen lassen, was sie denken, aber unsere Meinungen respektieren und sie unterstützen.

Für uns als MOLACNATs scheint es, dass ein Kind oder Jugendlicher/Jugendliche, der/die für ein bestimmtes Recht, für sein/ihr Recht kämpft, als Verteidiger/in der Menschenrechte anerkannt werden kann, aber wir sind auch der Meinung, dass es die Organisation ist, die uns garantiert, diese Bedingung vollständig zu erfüllen. In der Organisation lernen wir die Realität anderer kennen, und wir haben die Möglichkeit, den verschiedenen Stimmen Kraft zu geben. Hier in der Organisation, lernen wir immer wieder unsere Wurzeln kennen, entdecken unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten und helfen uns gegenseitig, uns gemeinsam weiterzuentwickeln. Deshalb sagen wir, dass die Organisation der Raum ist, durch den wir die Verteidigung der Menschenrechte voll ausüben können.

Hindernisse

Auf lokaler Ebene gibt es zum Beispiel Eltern, die unsere Aktivitäten nicht verstehen und sie nicht zulassen, aber auch andere, die zuhören und ihre Kinder unterstützen. Aber auf nationaler Ebene ist es sehr schwierig, sich ohne Ressourcen zu bewegen, manchmal haben wir keine Tickets oder wir haben kein Geld für die Aktivitäten. In unserem Fall ist es auf internationaler Ebene noch komplizierter, zum Beispiel hat die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) im vergangenen Jahr, 2017, die 4. Globalkonferenz über Kinderarbeit organisiert, und die einzigen, die daran nicht teilnehmen durften, waren wir organisierte arbeitende Kinder, sie wollten über uns sprechen und Entscheidungen treffen, und sie haben es ohne uns getan. Gemäß der Konvention über die Rechte des Kindes haben wir das Recht, unsere Meinung zu äußern und gehört zu werden, und wir mussten eigens eine von unseren Compañeros und Compañeras in Argentinien organisierte Veranstaltung mit dem Namen GRITAZO POR NUESTROS DERECHOS [AUFSCHREI FÜR UNSERE RECHTE] durchführen. Wir versammelten uns am Obelisken von Buenos Aires [vor dem Konferenzort], damit zumindest die Menschen, die vorbeikamen, uns hören konnten.

Ermächtigung

Viele Erwachsene, die für uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, unterstützen uns in unseren Organisationen an der Basis, hören uns zu, geben uns Ratschläge, informieren uns und sagen auch ihre Meinung, allerdings ohne abzuwerten, was ein Kind zu sagen hat. Es gibt Organisationen von Erwachsenen, die uns sogar finanziell helfen, unsere Aktivitäten und Treffen durchzuführen, um mehr über unsere Rechte zu erfahren und zu diskutieren. Wir wollen, dass sie uns bei den Märschen, bei den Protesten begleiten und mit uns kämpfen, das ist es, was wir wollen. Und wir wollen ein Mitspracherecht haben, wenn es um Entscheidungen über arbeitende Kinder oder Kinder im Allgemeinen geht.

Andere Kinder

Andere Kinder und Jugendliche können durch Kampagnen für aktive Beteiligung [participación protagónica] erreicht werden, indem wir untereinander Trainingsworkshops mit Gender-Fokus durchführen, da Mädchen oft ausgelassen werden.

Es ist notwendig, soziale Räume zu haben, um sich zum Reden zu treffen. Auch um unsere Basisgruppen, unsere Organisationen in den Ländern und unsere Bewegung auf lateinamerikanischer Ebene zu stärken. Wir alle müssen gehört werden.

Zum Beispiel gibt es viele arbeitende Kinder, die nicht organisiert sind, und wenn wir sie erreichen und sie uns ihre Realität erzählen, kommen die Probleme, denen sie konfrontiert, zur Sprache, und wir können mit ihnen über die Organisation, in der sie sicherlich zusammenkommen wollen, sprechen. Sie werden so besser in der Lage sein, für ihre Rechte zu kämpfen, denn wenn wir viel mehr sind, werden wir stärker sein.

Risiken

Wenn wir dafür kämpfen, als arbeitende Kinder anerkannt zu werden, werden wir kriminalisiert. Sie sagen, wir können nicht, wir dürfen nicht arbeiten. Und dann werden viele unserer Compañeros y Compañeras sogar verfolgt.

Auch wenn es Märsche oder Proteste gibt, unterdrückt uns die Polizei, und die Regierung sollte damit aufhören. Sie sollte aufhören, die Armen zu jagen, weil sie arm sind. Es ist die Regierung, die beschließt, zu unterdrücken. Wir dürfen nicht diskriminiert werden, nur weil wir in Armenvierteln oder Siedlungen in Städten leben, nur weil wir dort leben, sagt die Polizei bereits, dass wir Kriminelle sind.

Schutz

Was uns am meisten schützt, ist, organisiert zu sein, als Arbeiter vereint zu sein. Nur so hören sie auf uns. Wenn wir zusammen rausgehen, um zu protestieren. Wenn wir uns gegenseitig helfen, zwischen Organisationen von Kindern und von Erwachsenen, um so unsere Anklagen vorzubringen. Was wir für wichtig halten, ist, dass die Behörden auf uns hören und schnell handeln und nicht gegen uns.

Es ist auch möglich, Ausschüsse in den verschiedenen Ländern zu ernennen, damit sie uns ernstnehmen. Auf diese Weise können wir unseren Protagonismus ausüben und sichtbar machen, dass wir Kinder existieren. Die ganze Zeit über müssen wir ernstgenommen und unsere Meinungen und unser Handeln müssen respektiert werden, das ist der Weg, um uns selbst zu schützen. Wir wollen über die Einhaltung der Vereinbarungen wachen, die in unserem Namen getroffen werden, aber diese müssen mit uns gemeinsam getroffen werden.

Um ernstgenommen zu werden, müssen wir fast immer öffentliche Aktionen unternehmen oder uns an internationale Einrichtungen wie den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes wenden.

Regierungen

In allen Ländern gibt es Gesetze, die die Rechte von Kindern und Jugendlichen enthalten, aber sie müssen auch eingehalten und respektiert werden. Das erste, was Regierungen tun müssen, ist, diese Gesetze durchzusetzen und sie gut durchzusetzen, und dabei auch nicht zu versuchen, andere Rechte von uns zu verletzen. So heißt es beispielsweise in einigen Gesetzen, dass Kinder und Jugendliche an Kinderkomitees von kommunalen, regionalen oder nationalen Regierungen teilnehmen sollen, aber oft funktionieren diese nicht, es gibt keinen Haushalt, damit dieses Recht eingehalten werden kann. Oder zum Beispiel widersetzen sich die Kirchen der Erfüllung unserer sexuellen und reproduktiven Rechte.

Die Regierungen selbst sind die größten Verletzer der Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen. Zum Beispiel wurde in Bolivien ein Gesetz verabschiedet, in dem arbeitende Kinder anerkannt werden, und jetzt wollen sie nicht, dass es durchgesetzt wird. Es ist das einzige Gesetz, das unter Anhörung unserer Compañeros und Compañeras in Bolivien zustande kam.

September 2018

Movimiento Latinoamericano y del Caribe de Niñas, Niños y Adolescentes
Trabajadores - MOLACNATs
Email: molacnatsecretariado.ejecutivo@gmail.com

Aktualisiert: 17.09.2018