Europarat beklagt Anwachsen der Kinderarbeit in Europa - doch die Rechte der arbeitenden Kinder finden keine Beachtung

Jüngst machte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, darauf aufmerksam, dass nun auch in Europa die Kinderarbeit wieder anwachse. Insbesondere in den Ländern, die von Austeritätsmaßnahmen betroffen sind und in denen die Etats für Bildung und Sozialleistungen gekürzt werden, sähen sich immer mehr Familien genötigt, ihre Kinder zum Arbeiten zu schicken, um ihren Lebensunterhalt zu gewährleisten.

Die Regierungen hätten bisher versäumt, dem Problem die nötige Aufmerksamkeit zu widmen, schon der Mangel an verlässlichen Daten sei ein Ärgernis. Der Menschenrechtskommissar fordert die Regierungen dazu auf, ihre Politik am „besten Interesse“ der Kinder auszurichten, wie es in den Standards der UN-Kinderrechtskonvention und der Europäischen Sozialcharta verankert sei. Als positives Beispiel hebt er eine Gesetzesinitiative der türkischen Regierung hervor, die mit dem Ziel, die Kinderarbeit zu bekämpfen, das Pflichtschulalter auf 17 Jahre anheben will (siehe Link unten).

Es ist zu begrüßen, dass der Menschenrechtskommissar des Europarats der wachsenden Zahl arbeitender Kinder in Europa Aufmerksamkeit schenkt und die Regierungen dafür mit verantwortlich macht. Sein Hinweis auf die Zusammenhänge mit Austeritätspolitik und Sparmaßnahmen ist bemerkenswert, doch er versäumt, darauf hinzuweisen, dass es vor allem die Regierungen der reicheren Länder, allen voran die deutsche Bundesregierung, sind, die mit ihren politischen Vorgaben die ärmeren Länder in die Krise treiben und immer mehr Menschen in eine ausweglose Lage bringen.

Auch der Blick des Menschenrechtskommissars auf die Arbeit der Kinder lässt eine differenzierende Sichtweise vermissen. Seit vielen Jahren ist aus regionalspezifischen Untersuchungen bekannt, dass eine große Zahl von Kindern auch in europäischen Ländern einer bezahlten Arbeit nachgeht. Der Grund dafür liegt – zumindest in den westeuropäischen Ländern – in den meisten Fällen nicht in der Not ihrer Familien, sondern in dem Wunsch der Kinder nach eigenem Einkommen, mehr Selbstständigkeit und neuen Erfahrungen, die ihnen die Schule nicht ermöglicht. Probleme ergeben sich daraus, dass Kindern – auch durch das restriktive gesetzliche Verbot von Kinderarbeit – wenig legale Möglichkeiten haben, eine für sie interessante Arbeit zu finden. Stattdessen müssen sie oft mit Arbeiten vorlieb nehmen, die schlecht bezahlt sind und unter prekären Bedingungen ausgeübt werden. Dies gilt vor allem für Kinder, die aus armen Familien stammen und auch in ihrem sonstigen Leben benachteiligt und diskriminiert werden.

Wie auch der Staat zur Diskriminierung arbeitender Kinder (insbesondere aus armen Familien) beiträgt, lässt sich in Deutschland daran ablesen, dass solchen Eltern, die auf Hartz-IV angewiesen sind, das Einkommen ihrer Kinder von den Leistungen zum Lebensunterhalt abgezogen wird, wenn dieses einen bestimmten Betrag (gegenwärtig 120 € monatlich) übersteigt. Oder dass Kinder von Hartz-IV-Empfänger*innen, sobald sie das 15. Lebensjahr erreicht haben, der Arbeitsagentur nachweisen müssen, noch die Schule zu besuchen und somit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung zu stehen.

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Kinder, deren Familien in die Armut getrieben werden, in besonderem Maße davon bedroht sind, unter ausbeuterischen Bedingungen zu arbeiten und in ihren Rechten (vor allem dem Recht auf Bildung) beeinträchtigt zu werden. Dies gilt, wie der Menschenrechtskommissar zu Recht betont, vor allem für Kinder von Migrant*innen und der Roma-Minderheit. Doch eine Lösung kann nicht – wie der Menschenrechtskommissar meint – darin bestehen, die Kinder durch die Anhebung des Schulpflichtalters an der Ausübung einer Arbeit zu hindern. Stattdessen kommt es darauf an, allen Menschen ein Einkommen zu ermöglichen, das ihnen ein Leben in Würde gestattet, und den Kindern, die arbeiten wollen, die legale Möglichkeit zu verschaffen, dies in Würde und ohne Ausbeutung zu tun. Dies erfordert, dass auch Kinder das Recht erhalten, unter menschenwürdigen Bedingungen zu arbeiten, ebenso wie eine Bildungspolitik, die die Schule zum realen Leben öffnet und den Kindern ermöglicht, den Schulbesuch mit Arbeitserfahrungen zu verbinden. Auch in Europa sind viele Schüler*innen auf der Suche nach Arbeitsgelegenheiten, die ihnen über das Taschengeld hinaus ein eigenes Einkommen und mehr Selbstständigkeit im realen Leben verschaffen.

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Kommentar des Menschenrechtskommissars des Europarats

Aktualisiert: 10.09.2013